Corona-Virus-spezifische Antikörpertests zur Beurteilung der Immunität in der Bevölkerung
Ein vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) gefördertes Projekt im Rahmen des Programms „Wien erforscht Corona“
Die Ausgangssituation
Ab Januar 2020 beginnt sich das neue „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) und die damit einhergehende Erkrankung „Covid-19“ weltweit auszubreiten und wird im März von der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Pandemie erklärt. In Österreich wird der erste Fall am 25. Februar diagnostiziert. Um eine weitere unkontrollierte Verbreitung des Virus zu verhindern muss am 16. März ein „Lockdown“ verhängt werden, der das öffentliche und private Leben massiv einschränkt.
Zu diesem Zeitpunkt ist noch weitestgehend unklar, wie viele SARS-CoV-2 Infektionen zu klinischen Symptomen führen und wie viele Infektionen asymptomatisch verlaufen. Um diese Frage besser beantworten zu können stehen der Wissenschaft zwei Methoden zur Verfügung: der Nachweis des Virus (Antigen), z.B. mittels quantitativer Polymerasekettenreaktion (qPCR, PCR-Test) und der Nachweis der Reaktion des Immunsystems auf das Virus durch die Bildung von Antikörpern (Antikörpertest). Beide Testsysteme ergänzen sich: der PCR-Test ist in der akuten Phase der Infektion hilfreich um z.B. festzustellen, ob eine infizierte Person andere Personen anstecken kann. Der Antikörper-Test liefert auch dann noch positive Ergebnisse, wenn eine Infektion bereits überwunden ist und kein Virus mehr im Körper nachgewiesen werden kann. Dies gilt für die Zeitspanne, in der das sogenannte immunologische Gedächtnis gegen das Virus noch aktiv ist. Je nach Art der Infektion können dies Monate bis Jahre sein.
Ein Entwicklungsteam findet sich
PCR-Tests zum Nachweis von SARS-CoV-2 standen bereits im Februar 2020 zur Verfügung. Die Entwicklung von Antikörper-Tests gegen ein neues Virus ist jedoch meistens zeitaufwändiger, da zunächst Proteinuntereinheiten des Virus hergestellt und ihre Reaktion mit Antikörpern getestet werden muss. In dieser Situation veröffentlicht das Team von Florian Krammer an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York am 18. März erste Daten, welche die Entwicklung und den Aufbau eines solchen Antikörpertests beschreiben. Ausgehend von diesen Informationen findet sich innerhalb weniger Tage ein Team von WissenschaftlerInnen an der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Wilhelm Gerner, Institut für Immunologie, Florian Grebien, Institut für Biochemie), der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU, Reingard Grabherr, Miriam Klausberger, Mark Dürkop, Institut für Molekulare Biotechnologie) und der Medizinischen Universität Wien (Christoph Binder, Klinisches Institut für Labormedizin). Das Konsortium beschließt, die vorhandenen Expertisen zu bündeln und ebenfalls einen solchen Antiköpertest zu entwickeln.
Unterstützung durch den Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF)
Passend dazu veröffentlicht der WWTF Ende März 2020 eine Ausschreibung für eine „COVID-19 Rapid Response Förderung“, in der ForscherInnen aus Wien sich um Fördergelder für Forschungsprojekte bewerben können, die einen Bezug zu SARS-CoV-2 bzw. Covid-19 haben. Das vorgenannte Team stellt seine Ideen vor und erhält eine Förderung in Höhe von € 49.500. Die Arbeit an der Entwicklung des Antikörpertests beginnt.

März/ April 2020
Noch im März 2020 beginnt das Team an der BOKU mit der Herstellung von SARS-CoV-2 Virusproteinen und Proteinuntereinheiten. Dabei kommen verschiedene Expressionssysteme (eukaryotische Zelllinien, Bakterien) zum Einsatz. Mitte April 2020 werden die ersten aufgereinigten Proteine an die Vetmeduni geliefert. Durch die Bereitstellung von Seren durch die Partner an der Medizinischen Universität Wien können erste sog. ELISA (Enzyme-linked immunosorbent assay, weitere Informationen in „VETMED – Das Magazin, Ausgabe 02/2020, Seite 25) Tests durchgeführt werden.
Außerdem kann ein Industriepartner gewonnen werden, mit dem eine Strategie zur raschen Kommerzialisierung des zu etablierenden Testsystems entworfen wird: Nikolaus Binder, Chief Scientific Officer der Wiener Firma Technoclone und sein Team werden in die Etablierung des Antikörper-Tests mit einbezogen.

Mai/ Juni 2020
Zahlreiche Optimierungsrunden sind für die bestmögliche Herstellung und Aufbereitung der SARS-CoV-2 Proteine nötig. Außerdem werden die einzelnen Schritte des ELISA-Tests optimiert, um höchstmögliche Spezifität und Sensitivität des Testsystems zu gewährleisten. Es ergeben sich erste Hinweise, dass ein kombiniertes Testsystem besonders wertvoll sein könnte: Der Nachweis von Antikörpern gegen zwei verschiedene Virusproteine bzw. -proteinuntereinheiten (die sog. Rezeptorbindungsdomäne, RBD, innerhalb des Spike Oberflächenproteins sowie das Nukleokapsidprotein) erlaubt eine bessere Unterscheidung von schwach positiven und negativen Proben. Das Forschungsteam stellt seine Arbeit in einer virtuellen Podiumsdiskussion (Grüner Salon, Covid-19 – Schnelle Hilfe aus Wissenschaft und Forschung) an der BOKU vor.
Juli/ August 2020
Technoclone erstellt erste Prototypen des Testsystems, das nun mit einer großen Anzahl von Seren (1129 prä-COVID-19 Serumproben und 72 Serumproben von vorwiegend mild und asymptomatischen COVID-19 Patienten, bereitgestellt von den Partnern an der Medizinischen Universität Wien) von den Partnern an der Medizinischen Universität Wien getestet werden. Dabei erreicht der ELISA, der Antikörper gegen die RBD des SARS-CoV-2 Spike Proteins detektiert, eine Spezifität von 99,2% und Sensitivität von 85,7%. Es zeigt sich, dass das Testsystem in diesen beiden Qualitätsparametern mit den inzwischen verfügbaren Tests von Anbietern wie Roche und Abbott mithalten bzw. diese sogar leicht übertreffen kann.
Die Arbeit des Konsortiums wird in einer vom WWTF veranstalteten Online Vortragsreihe “Wien erforscht Corona” vorgestellt.
September 2020
Unter den Produktnamen “TECHNOZYM anti SARS-CoV-2 NP IgG test” und “TECHNOZYM anti SARS-CoV-2 RBD IgG test” erhalten die Testsysteme von der Firma Technoclone die Zulassung und können nun weltweit eingesetzt werden. Im Gegensatz zu vielen anderen inzwischen erhältlichen Antikörper-Tests erlaubt dieses auch eine Quantifizierung der Antikörpermengen und ist damit besonders gut für Zeitverlaufsstudien geeignet. Solche Studien ermöglichen Aussagen darüber, wie lange nach einer Infektion Antikörper gegen SARS-CoV-2 vom körpereigenen Immunsystem gebildet werden. Dies ist ein wichtiger Parameter um abzuschätzen, wie lange eine Person gegen eine erneute SARS-CoV-2 Infektion geschützt sein könnte.
Ein weiterer Einsatzzweck kann sich in der zukünftigen Testung von Impfstoffen ergeben. Derzeit beinhalten die meisten sich in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe nur Bereiche aus dem Spike-Oberflächenprotein von SARS-CoV-2. Durch Etablierung von zwei separaten Nachweissystemen für Antikörper gegen die RBD aus dem Spike-Protein sowie gegen das Nukleoprotein kann in zukünftigen Impfstoffstudien untersucht werden, ob geimpfte Personen nur Antikörper gegen die RBD entwickeln (Reaktion auf den Impfstoff) oder im Hintergrund auch eine Immunreaktion gegen zirkulierendes SARS-CoV-2 stattfindet. In diesem Fall würden auch Antikörper das Nukleoprotein gebildet werden. Damit können wichtige Informationen zur Schutzwirkung der Impfstoffe gewonnen werden.
Zum Abschluss der Testentwicklung veröffentlichen die beteiligten Universitäten eine gemeinsame Presseerklärung.
